19. November 2024 | Bericht
Die Gesundheitsindustrie benötigt verlässliche Rahmenbedingungen, ein attraktives Umfeld für Investitionen in Forschung sowie weniger Regulatorik und Bürokratie.
Damit Innovationen auch künftig sofort für Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen, ein attraktives Umfeld für Investitionen in Forschung sowie weniger Regulatorik und Bürokratie. So lauten die zentralen Ergebnisse des politischen Abends der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen (IGH) in der Vertretung des Landes Hessen beim Bund in Berlin.
Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen, Krankenkassen sowie aus der Landes- und Bundespolitik waren im November einer Einladung der bundesweit einmaligen Initiative gefolgt. Angesichts der ernsthaften Gefährdung des Industriestandorts Deutschland diskutierten die Teilnehmenden, wie Innovationen, Versorgung und Beschäftigung in der Gesundheitsindustrie gestärkt werden können. In seinem Grußwort hob Hessens Minister für Bundesangelegenheiten und Entbürokratisierung, Manfred Pentz, die Bedeutung der Branche für Hessen hervor: „Die Gesundheitsindustrie ist nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber, sondern auch Innovator und Fortschrittsgeber.“ Hessen rangiere in Europa unter den zehn stärksten Volkswirtschaften, wobei die Chemie- und Pharmaindustrie eine ganz entscheidende Rolle spiele. „Die Hessische Landesregierung legt deshalb einen starken Fokus auf die pharmazeutische Industrie sowie die kontinuierliche Stärkung des Produktions- und Forschungsstandorts“, so der Minister.
Gute Rahmenbedingungen schaffen
„Wir halten Unternehmen der Gesundheitsindustrie in Hessen, indem wir Rahmenbedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass die Unternehmen gerne bei uns bleiben und investieren“, führte die hessische CDU-Fraktionschefin Ines Claus in ihrer Keynote aus. Die Standortbedingungen ließen sich unter anderem verbessern, indem die Produktion unterstützt und Regulierungsmaßnahmen überprüft würden. Daraus könne eine Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz entstehen, aus der sich Versorgungssicherheit herstellen lasse. „Zu stabilen Rahmenbedingungen gehört aber auch ein stabiles Ökosystem“, so Claus. Dazu zähle in Hessen der Frankfurter Flughafen, über den jährlich rund 200.000 Tonnen an Gesundheitsprodukten importiert und exportiert würden. Besonders hob die Fraktionsvorsitzende die Bedeutung der IGH hervor. Sie verbinde alle Player in diesem Bereich und gelte als ein erfolgreiches Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft, Industrie und Gewerkschaft. „Das soll auch unter der christlich-sozialen Koalition in Hessen so bleiben“, bekräftigte Claus.
Anschließend diskutierten die Bundestagsabgeordneten und Mitglieder des Gesundheitsausschusses Erwin Rüddel (CDU) und Matthias Mieves (SPD), Lilly Deutschland-Geschäftsführer Dr. Alexander Horn, der Leiter des Fachbereichs Arzneimittel der Techniker Krankenkasse (TK), Tim Steimle, und die Geschäftsführerin der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), Mirjam Mann, über vielfältige Maßnahmen, wie sich der Industriestandort Deutschland fit für die Zukunft machen lässt.
Komplexe Hürden bei klinischen Studien
Klinische Studien sind von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung neuer Therapieansätze und ermöglichen den frühzeitigen Zugang von Patientinnen und Patienten zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten. Der aktuelle Status quo zeigt jedoch, dass Deutschland in diesem Bereich an Attraktivität verliert, was weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen kann. „Andere Länder haben uns bei der Geschwindigkeit der Genehmigung einer klinischen Studie überholt“, sagte Matthias Mieves (SPD). Unternehmen gingen mittlerweile gerne nach Spanien, weil sie dort innerhalb weniger Wochen mit der Studie starten könnten. Zudem seien Genehmigungsverfahren in Deutschland zu komplex. Unternehmen müssten mit unterschiedlichen Aufsichtsbehörden für die gleiche Sache in Kontakt treten. Ähnlich sah es auch Erwin Rüddel (CDU): „Wir brauchen in Deutschland weniger Regulatorik und weniger Bürokratie.“
Um den abnehmenden Trend umzukehren und Deutschland als attraktiven Standort für klinische Forschung wiederherzustellen, sind Veränderungen unerlässlich. „Durch klinische Studien fließt ein enormes Know-how nach Deutschland. Wenn wir im internationalen Wettbewerb zurückfallen, sind wir nicht mehr auf der Höhe der Forschung und verlieren ambitionierte Forscherinnen und Forscher“, warnte Lilly Deutschland-Geschäftsführer Dr. Alexander Horn. Es sei essenziell, gut ausgebildete Fachkräfte von den Universitäten im Land zu halten. Dafür brauche es Spitzenforschung vor Ort. „Für Menschen mit Seltenen Erkrankungen ist es extrem wichtig, dass die klinischen Studien in Deutschland sattfinden, denn dann haben sie eine Chance vom wissenschaftlichen Fortschritt zu profitieren“, bekräftigte ACHSE-Geschäftsführerin Mirjam Mann.
Reformbedarf beim AMNOG
„Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen versicherungsfremde Aufgaben in Höhe von rund 50 Milliarden Euro“, so Dr. Horn. Davon mache alleine das Bürgergeld zehn Milliarden Euro aus. „Wenn der Bundeshaushalt in der Lage wäre, den Kassen einen größeren Teil dieser versicherungsfremden Leistungen zu erstatten, hätten die Kassen mehr Spielraum für Preisverhandlungen mit der Pharmaindustrie“, sagte der Lilly Deutschland-Chef. Es müsse sichergestellt werden, dass Patientinnen und Patienten in Deutschland Innovationen auch künftig sofort zur Verfügung stehen. Doch seit der Einführung des AMNOG-Systems im Jahr 2011 sei nicht mehr viel passiert. „Der wissenschaftliche Fortschritt ist in den letzten Jahren enorm vorangegangen. Das jetzige Erstattungssystem ist nicht mehr zukunftsfähig und muss dringend reformiert werden“, forderte Dr. Horn. Das betreffe sowohl die Nutzenbewertung als auch die Erstattung. „Wir zahlen in Deutschland die zweithöchsten Arzneimittelpreise der Welt, haben aber nicht die zweitmeisten klinischen Studien“, entgegnete TK-Arzneimittelexperte Tim Steimle. Man müsse daher darüber nachdenken, wie sich beides in Einklang bringen ließe. Dazu brauche es vor allem Transparenz, was Forschung und Produktion tatsächlich kosten. Zudem müssten die Arzneimittelpreise noch stärker an der wirtschaftlichen Kraft ausgerichtet werden, die die Unternehmen in die deutsche Volkswirtschaft einbringen, so Steimle.
Prävention ist der Schlüssel
Angesichts großer Herausforderungen im Gesundheitswesen bietet die Prävention die Chance, der Krankheitslast in der Bevölkerung entgegenzuwirken und damit direkt und indirekt Kosten einzusparen. „Prävention muss deshalb im deutschen Gesundheitssystem eine größere Rolle spielen“, forderte der Lilly Deutschland-Geschäftsführer. Bisher sei das System darauf ausgerichtet, Kranke zu verwalten, bis sie „irgendwann in der Pflege landen und dann unheimlich hohe Kosten auf uns zukommen“. Die Gesundheitsindustrie sehe sich als Teil der Lösung und nicht als Teil des Problems. „Mich stört, dass immer einseitig die Arzneimittelpreise genannt werden“, kritisierte Dr. Horn. Gesundheit müsse holistisch betrachtet werden.
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