06. September 2019 | Bericht
Im Interview erklärt Dr. Boris Bromm seinen Standpunkt zum Thema Lieferengpässe bei Arzneimitteln.
Herr Dr. Bromm, Sie sind Mitglied der Geschäftsführung bei Fresenius Kabi Deutschland und im Rahmen der Initiative Gesundheitsindustrie Hessen Leiter der Werkstatt Wirtschaft & Beschäftigung und ebenfalls der Leiter der Arbeitsgruppe Versorgungssicherheit.
Haben wir ein Arzneimittelversorgungs-Problem in Deutschland?
Noch nicht - wir haben in Deutschland verglichen mit anderen Ländern eine gute Arzneimittelversorgung. Allerdings zeichnet sich ab, dass Lieferengpässe zunehmen. Erstaunlicherweise sind insbesondere generische Arzneimittel betroffen, also solche Arzneimittel, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist, und die somit von mehreren Herstellern angeboten werden können. Diese Arzneimittel machen das Gros der Versorgungen aus: Von 100 Patienten, die ein Arzneimittel benötigen, bekommen 78 ein Generikum.
Warum sind gerade diese Arzneimittel betroffen? Der freie Wettbewerb dieser Hersteller müsste doch zu Versorgungssicherheit führen?
Der Wettbewerb im Arzneimittelsektor ist eben nur bedingt frei. Zahlreiche Regularien, die in den letzten Jahren immer weiter ausgebaut wurden, greifen ein. Dazu kommt, dass sich die Einkaufsseite, also die Einkaufsverbünde der Kliniken und die Krankenkassen, in den letzten Jahren konsolidiert hat und noch mächtiger geworden ist. Außerdem wurden den Krankenkassen Optionen wie Ausschreibungen und Rabattverträge an die Hand gegeben, mit denen sie einen massiven Preiskampf anfeuern, nach dem Motto „the winner takes it all“. Die Folge ist, dass nach und nach Hersteller aussteigen. Sie entscheiden sich, die Herstellung nicht lukrativer Wirkstoffe einzustellen oder neue aus dem Patent laufende Wirkstoffe gar nicht erst einzuführen. Es gibt auch Beispiele dafür, dass große Hersteller den deutschen Markt insgesamt links liegen lassen, weil es sich für sie einfach nicht mehr lohnt, ihn zu bedienen.
Welche Regularien stören Sie denn?
Anfang des Jahres wurde die Serialisierung eingeführt. Das bedeutet, dass alle Produktionslinien mit einem weiteren Barcodedrucker bestückt werden mussten, Fehlermeldungen, die sogenannten „Alerts“, müssen in den Reklamationsabteilungen abgearbeitet werden, alle betroffenen Zulassungsunterlagen mussten überarbeitet werden, ganz zu Schweigen von den Aufwänden in der IT und Logistik. Ein echtes Mammutprojekt, insbesondere für die generischen Unternehmen, die das Gros der Verpackungen herstellen, die wiederum mit nur kleiner Marge verkauft werden können. Dazu kommt die Umsetzung der Medical Device Directive, ein enormes Regelwerk, bei dem Medizinprodukte regulatorisch an Arzneimittel angeglichen werden. Die Implementierung der Datenschutzgrundverordnung und konsequente Überwachung derselben ist auch kein Pappenstiel für die Unternehmen. Zudem werden Qualitätsvorschriften und Compliance-Prozesse permanent ausgebaut und verschärft. Alles für sich betrachtet sinnvolle Maßnahmen, in der Kumulation aber sehr massiv und natürlich kostentreibend. Parallel zu alledem feiern die Krankenkassen Rekordeinsparungen durch Rabattverträge in Höhe von über 4 Mrd. Euro.
Wie sehen Sie die aktuellen Überlegungen zu einer Ausweitung der Lieferverpflichtung im Arzneimittelgesetz?
In der Tat ist im Gespräch, das pharmazeutische Unternehmen zum Aufbau von Arzneimittelvorräten verpflichtet werden sollen. Das wäre eine ganz neue Qualität von regulatorischen Eingriffen, und davon halte ich persönlich gar nichts. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Planwirtschaft zu Versorgungslücken führt, und das dürfen wir in diesem lebenswichtigen Bereich nicht zulassen. Wenn ein Staat meint, er könne Warenströme besser steuern als ein professionelles Pharmaunternehmen, werden wir eine Enttäuschung erleben. Ich könnte mir auch Spannungen innerhalb der Europäischen Union vorstellen, die durch Vorratsverpflichtungen in einzelnen Mitgliedsstaaten ausgelöst würden.
Können Sie etwas konkreter werden?
Lieferengpässe haben in den meisten Fällen eine internationale Dimension, weil Produktionsstätten zusammengelegt wurden, um möglichst kosteneffizient produzieren zu können, um so wiederum bei den fallenden Preisen bestehen zu können. Fällt nun eine solche Produktionsstätte warum auch immer für eine Zeit aus, gibt es international einen Lieferengpass. Wenn nun die deutsche Markteinheit eines internationalen Pharmaunternehmens sich für ein par Wochen (zwangsweise) bevorratet hat, in Frankreich und Österreich aber Operationen nicht mehr durchgeführt werden können, weil das bevorratete Arzneimittel dort fehlt, wäre es unethisch, die deutschen Vorräte nicht umzusteuern. Außerdem verringern wir die Haltbarkeitszeit von Arzneimitteln, wenn wir sie zwangsweise für einen bestimmten Zeitraum zwischenlagern. Schließlich treiben erzwungene Vorratshaltungen die Kosten für ein Arzneimittel ganz erheblich in die Höhe. Denn Pharmaläger müssen umfangreiche Qualitätsvorschriften erfüllen, temperaturüberwacht sein, IT, Logistik etc. Das bedeutet der Kostendruck nimmt noch mehr Fahrt auf, ohne dass er von der Industrie weitergegeben werden kann. Die Folge wäre, dass Hersteller sich aus dem deutschen Markt mit einzelnen Wirkstoffen oder insgesamt verabschieden, und das Problem der Lieferengpässe würde sich verstärken. Es ist einfach falsch, wenn das Gesundheitssystem eines Landes versucht, seine fehlende Bereitschaft angemessene Preise zu bezahlen, durch Zwangsmaßnahmen zu kompensieren. Das wird faktisch nicht funktionieren.
Wo sehen Sie Hürden in der logistischen Umsetzung dieser Forderung?
Abhängig von den Vorratszeiten, die den Befürwortern einer solchen Regelung vorschweben, müssten große Pharmaläger neu gebaut und betrieben werden. Ich glaube auch nicht, dass wir für einen großen Markt wie den Deutschen, die Hersteller solche Vorräte überhaupt produzieren könnten. Und wenn es einen Lieferengpass gibt, treten die erwähnten ethischen Bedenken hinzu, so dass die Läger doch wieder für andere Märkte entleert werden müssten. Aber auch aus Qualitätsgesichtspunkten wäre ein regulatorisch erzwungener „Puffer“ ein Schritt in die falsche Richtung. Denn anders als beim Parma-Schinken werden Arzneimittel durch Lagerzeiten nicht besser.
Wo sehen Sie Hebel im System zur Sicherung der Versorgung?
Es gibt viele Ideen, wie man die Versorgungssicherheit verbessern könnte. Aber Kern aller nachhaltig funktionierenden Systeme ist die Bereitschaft, angemessene Preise zu zahlen. ProGenerika hat nachgewiesen, dass eine Tagestherapie mit einem Generikum im Durchschnitt gerade einmal 6 Cent kostet. Das ist weniger als ein roter Lolly am grünen Stil, aber der hat kein Zulassungsdossier, ist nicht im Reinraum hergestellt und auch nicht serialisiert. Und trotz des hohen Versorgungsanteils entfallen nur 9,2 % der Arzneimittelausgaben auf Generika. Wer hier versucht zu sparen, hat volkswirtschaftlich gesehen überhaupt keinen Hebel. In diesem Bereich muss die Versorgungssicherheit im Fokus stehen.
Es könnte helfen, wenn sich Krankenkassen und Einkaufsverbünde freiwillig auf eine „Gute Einkaufspraxis“ verpflichten. Dazu könnte gehören, dass nicht das billigste Angebot, sondern der Zweitgünstigste den Zuschlag erhält. Solche Modelle kennen wir etwa aus der Bauindustrie, um Preisdumping zu vermeiden. Es könnte auch ein Punktesystem (Bonussystem) eingeführt werden, mit dem man das Managen von Lieferengpässen eines Unternehmens und die Kooperation mit den Behörden in Krisensituationen bewertet. Dieses wiederum müsste auch in Ausschreibungen oder bei Rabatten preisfördernd einfließen.
Mittelfristig sollten wir meiner Meinung nach auch darüber nachdenken, wie wir Europa wieder für Arzneimittelproduktion attraktiver machen können. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Biosimilars die noch in Europa hergestellt werden. Wenn wir auch in diesem Bereich den drastischen Preisverfall billigend in Kauf nehmen, werden wir dieselbe Entwicklung wie bei den Generika erleben: Konsolidierung der Produktionen im Ausland, Ausdünnung der Anbieter, Lieferengpässe.
Was kann die Industrie beitragen?
Aufgabe und Daseinsberechtigung der Generikahersteller ist es, Arzneimittel flächendeckend, qualitativ einwandfrei und möglichst kostengünstig zu liefern. Gerade im Falle von akuten Lieferengpässen, müssen intelligente und möglichst präzise Steuerungssysteme vorhanden sein, um optimal in die Märkte, die Regionen bis hin zu einzelnen Kunden zu kontingentieren. Ein „Leerkaufen“ aus einer Richtung muss verhindert werden. Außerdem muss ein enger und frühzeitiger Austausch mit den Behörden gepflegt werden. Das BfArM darf in diesen Situationen nicht als „strafender Überwacher“, sondern es muss als Sparring-Partner verstanden werden. Ich denke, wir sind dabei schon auf einem guten Weg.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sula Lockl.
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