18. September 2024 | Pressemitteilung
Leicht steigende Zustimmung für H₂-Nutzung. Innovationsumfeld gut. Politische Unterstützung unzureichend.
Die Bewertung des Wasserstoffhochlaufs unter deutschen Marktteilnehmern ist im Vergleich zum vergangenen Jahr in der Zustimmung leicht gestiegen. Das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Interesse an Wasserstoff hat zugleich zugenommen. Der sogenannte H₂-Marktindex liegt nun bei 44 von 100 möglichen Punkten und stieg damit um 2 Punkte an (2023: 42 Indexpunkte). Zugleich verdeutlicht die Befragung eindrücklich, dass der tatsächliche Hochlauf aus Sicht der Teilnehmer ins Stocken zu geraten droht.
Drei Viertel der Marktakteure schätzen die Bedeutung von klimaneutral erzeugtem Wasserstoff für die zukünftige Energieversorgung in Deutschland als hoch und sehr hoch ein (76 Prozent der Befragten). Genauer betrachtet, zeigt sich in den vier im Fokus stehenden Themenfeldern Innovationsumfeld, politisch-regulatorischer Rahmen, Infrastrukturausbau und Marktentwicklung ein gemischtes Stimmungsbild.
Durchgeführt wurde die Befragung von Stakeholdern der Wasserstoffwirtschaft vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln gGmbH (EWI) im Auftrag des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW), dem Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI), dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) und der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl). Der H2₂-Marktindex dient dazu, die Wahrnehmung von Marktakteuren bezüglich der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes in Deutschland zu ermitteln. Der Index identifiziert Herausforderungen und mögliche Problemfelder im Markthochlauf und dient Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft als Handlungsgrundlage.
Innovationsumfeld
Das Themenfeld Innovationsumfeld wird mit 57 Punkten als das positivste bewertet. „Transformation braucht Innovationen. Das laut Marktindex gute Innovationsumfeld müssen wir als Standortvorteil erhalten und mit Volldampf weiter ausbauen“, sagt Matthias Belitz, Bereichsleiter Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz des VCI. Dabei gibt es jedoch deutliche Unterschiede zwischen Stakeholdergruppen: So bewerten Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen (63) sowie Fernleitungsnetzbetreiber (62) das Innovationsumfeld am positivsten. Hersteller von H₂-Produktion und Power-to-X sowie Industrie-Stakeholder (49 Punkte in Chemie, 48 bei Eisen und Stahl) schätzen das Umfeld hingegen eher neutral ein.
Die Diskrepanz lässt sich möglicherweise mit regulatorischen Hürden erklären, vor denen Unternehmen bei der Erprobung neuer Technologien stehen. Dafür brauche es ein Reallaborgesetz, damit Unternehmen Innovationen leichter testen können. „Es besteht nach wie vor großer Handlungsbedarf bei technischen Regeln und Standards. Offene technische Fragen, etwa zur Kohlendioxidabscheidung, -speicherung und -nutzung oder der Umstellung von Kraftwerken auf Wasserstoff, müssen schnellstmöglich beantwortet werden, damit sich die Industrie transformieren kann”, so Belitz.
Größter Innovationsbedarf besteht der Untersuchung zufolge bei der Wasserstofferzeugung (35 Prozent der Befragten). In der Chemiebranche ist grauer Wasserstoff bisher die Norm, grüner und kohlenstoffarmer Wasserstoff befinden sich noch am Anfang des Hochlaufs. „Wir müssen immer das Gesamtbild im Auge behalten. Dabei gilt: Auch ein gutes Forschungs- und Innovationsumfeld nutzt wenig, wenn neue Anwendungen nicht wettbewerbsfähig sind – hier muss die Politik dringend nachbessern“, fordert er.
Infrastrukturausbau
Auch wenn im Vergleich zum Vorjahr der Indexwert für das Themenfeld Infrastrukturausbau von 27 auf 31 Punkte gestiegen ist, täuscht die positivere Wahrnehmung nicht über die Skepsis der Marktakteure beim Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur hinweg. Zwar gab es zuletzt große Fortschritte, wie etwa die Konkretisierung der Pläne der Fernleitungsnetzbetreiber zum Aufbau eines ca. 9.000 Kilometer langes Wasserstoffkernnetzes, das bis 2032 entstehen soll. Mit einer Zunahme um 7 Indexpunkte von 31 (2023) auf nun 38 fiel die Bewertung der Pipelineinfrastruktur im Gesamtkontext überdurchschnittlich gut aus.
Auch die Bewertungen des Ausbaus von Speicher- und Importinfrastruktur haben sich leicht verbessert – beide Felder kommen nun auf 28 Indexpunkte (2023: 25 Punkte). „Der Wasserstoffhochlauf in Deutschland wird dann zum Erfolg, wenn alle Lücken in der gesamten Wertschöpfungskette geschlossen werden. Je umfangreicher das gelingt, desto schneller kommen wir unserem gemeinsamen Ziel näher, Deutschland mit klimaneutraler Energie zu versorgen“, so Prof. Dr. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches. Sorgen macht dem DVGW-Chef aber vor allem der Blick der Stakeholder auf wesentliche Faktoren, die den Hochlauf negativ beeinträchtigen können. So werden hohe Investitionskosten (55 Prozent), hohe Investitionsrisiken (49 Prozent) und die begrenzte Verfügbarkeit von Wasserstoff (46 Prozent) von Marktakteuren übergreifend als die drei größten Hemmnisse identifiziert. „Unser technischer Nachweis, dass die vorhandene Infrastruktur H₂-ready ist, dient als Basis für Transport, Speicherung und Import. Jetzt geht es darum, den politischen und regulatorischen Rahmen so zu gestalten, dass industrielle Investitionszurückhaltungen reduziert werden. Wichtig ist die Beschleunigung einer Regionalplanung und eine Fokussierung auf den Ausbau der Verteilnetze. Ein klares Bekenntnis der Politik, dass auch blauer Wasserstoff zur Überbrückung von Importlücken auf dem Weg zur Klimaneutralität unverzichtbar ist, wäre zudem ein wichtiges Signal“, so Linke.
Politisch-regulatorischer Rahmen
Forderungen hinsichtlich der politischen Rahmenbedingungen kommen auch vom Maschinen- und Anlagenbau. Da der politische und regulatorische Rahmen für den weiteren Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft von außerordentlicher Bedeutung ist, überrascht es, dass der politische Wille für die Einführung von Wasserstoff in Deutschland von Marktakteuren weiterhin nur mit 51 Indexpunkten bewertet wird. Peter-Müller Baum, Geschäftsführer Power-to-X for Applications des VDMA: „Der H₂-Index ist ein wichtiges Stimmungsbarometer. Die Ergebnisse unterstreichen: Wir brauchen endlich einen handwerklich soliden und verlässlichen regulatorischen Rahmen sowie eindeutige politische Zielsetzungen. Der Maschinenbau steht als Enabler der Energiewende bereit, aber unsere Unternehmen brauchen genauso wie Anlagenbetreiber Verlässlichkeit und Sicherheit für ihre Investitionsentscheidungen.“
Noch wichtiger als die Einschätzung des politischen Willens ist die Bewertung des bestehenden rechtlichen Rahmens für Wasserstoff, denn dieser Rahmen definiert die realen Bedingungen. Hier ist die aktuelle Einschätzung der befragten Marktakteure negativ (35 Indexpunkte). Als größtes regulatorisches Hindernis für den Hochlauf des Wasserstoffmarktes wird übermäßige Regulierung genannt.
Marktentwicklung
Der Index bestätigt, dass der Wasserstoffhochlauf ins Stocken gerät. Der Stand des Markthochlaufs wird mit 35 Punkten eher negativ bewertet und fällt damit noch schlechter aus als im vergangenen Jahr. Derzeit zögern sowohl die Produzenten als auch die Abnehmer von Wasserstoff mit ihren Investitionen. Ein zentrales Problem liegt in der erheblichen Planungsunsicherheit. Dabei geht es – neben der Entwicklung der Infrastruktur und der Förderung des Angebots – vor allem um die Voraussetzungen für die Anwenderseite, also die wasserstoffnutzende Industrie. Denn für Investitionen in das Wasserstoffangebot braucht es eine planbare Nachfrage.
„Es muss dringend gehandelt werden, um die politischen Rahmenbedingungen zu verbessern. Gerade die Stahlindustrie spielt eine maßgebliche Rolle als großer und flexibler Abnehmer – und somit, als Nachfrageanker, für den Wasserstoff-Hochlauf. Um die Anwendung in der Industrie und damit die Nachfrage voranzubringen, sind ein kohärenter Förderrahmen, der schnelle Aufbau der Infrastruktur sowie wettbewerbsfähige Strom- und Wasserstoffpreise entscheidend“, so die Einschätzung von Roderik Hömann, Leiter Energie- und Klimapolitik der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Weiterhin zeigt die Befragung zu Treibern und Hemmnissen des Markthochlaufs drei Bereiche auf, die für Unternehmen zur Investition entscheidend sind: Schaffung von Investitionssicherheit, angebotsseitige Förderprogramme und die richtige politische Zielsetzung – die aber nur durch entsprechendes politisches Handeln glaubwürdig wird.
Über den H₂-Marktindex
Der H₂-Marktindex dient dazu, die Wahrnehmung von Marktakteuren bezüglich der Entwicklung eines Wasserstoffmarktes in Deutschland zu ermitteln. Zielsetzung ist dabei die Abbildung der Wahrnehmungen von verschiedenen Stakeholdern, die Identifikation von Herausforderungen und möglicher Problemfelder sowie das Erfassen relevanter Indikatoren zur Messung des Fortschritts des Wasserstoffmarkthochlaufs. Der H₂-Marktindex umfasst die vier Themenfelder Innovationsumfeld, politisch-regulatorischer Rahmen, Infrastrukturausbau und Marktentwicklung. Die Indexergebnisse werden auf einer Skala von 0 (negativ) bis 100 (positiv) abgebildet. Zur Erhebung des H₂-Marktindex 2024 wurde eine Online-Befragung von Stakeholdern der Wasserstoffwirtschaft im Zeitraum Juni bis August 2024 durchgeführt. Insgesamt sind 311 indexrelevante Rückmeldungen in die Auswertung eingeflossen.
Weitere Informationen sowie das gesamte Gutachten und eine Zusammenfassung unter www.h2-marktindex.de. www.h2-marktindex.de.
Pressekontakte
Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW)
Lars Wagner, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit / Pressesprecher
Tel. (030) 79 47 36 64 | E-Mail: presse@dvgw.de
Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI)
Jürgen Udwari, Strategie und Kommunikation
Tel. (069) 2556-1716 | E-Mail: udwari@vci.de
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA)
Holger Paul, Leiter Kommunikation und Pressesprecher
Tel. (069) 6603-1922 | E-Mail: holger.paul@vdma.org
Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl)
Susan Saß, Leiterin Kommunikation
Tel. (030) 2325546-0 | E-Mail: susan.sass@wvstahl.de
Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) fördert das Gas- und Wasserfach mit den Schwerpunkten Sicherheit, Hygiene und Umweltschutz. Mit seinen rund 14.000 Mitgliedern erarbeitet der DVGW die allgemein anerkannten Regeln der Technik für Gas und Wasser. Klimaneutrale Gase und insbesondere der Zukunftsenergieträger Wasserstoff sind in der Arbeit des DVGW von besonderer Bedeutung. Der Verein initiiert und fördert Forschungsvorhaben und schult zum gesamten Themenspektrum des Gas- und Wasserfaches. Darüber hinaus unterhält er ein Prüf- und Zertifizierungswesen für Produkte, Personen sowie Unternehmen. Die technischen Regeln des DVGW bilden das Fundament für die technische Selbstverwaltung und Eigenverantwortung der Gas- und Wasserwirtschaft in Deutschland. Sie sind der Garant für eine sichere Gas- und Wasserversorgung auf international höchstem Standard. Der gemeinnützige Verein wurde 1859 in Frankfurt am Main gegründet. Der DVGW ist wirtschaftlich unabhängig und politisch neutral.
Der Verband der Chemischen Industrie e.V. (VCI) und seine Fachverbände vertreten die Interessen von rund 2.300 Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie und chemienaher Wirtschaftszweige gegenüber Politik, Behörden, anderen Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien. 2023 setzten die Mitgliedsunternehmen des VCI rund 245 Milliarden Euro um und beschäftigten über 560.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) vertritt mehr als 3600 deutsche und europäische Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus. Die Industrie steht für Innovation, Exportorientierung und Mittelstand. Die Unternehmen beschäftigen insgesamt rund 3 Millionen Menschen in der EU-27, davon mehr als 1,2 Millionen allein in Deutschland. Damit ist der Maschinen- und Anlagenbau unter den Investitionsgüterindustrien der größte Arbeitgeber, sowohl in der EU-27 als auch in Deutschland. Er steht in der Europäischen Union für ein Umsatzvolumen von geschätzt rund 910 Milliarden Euro. Rund 80 Prozent der in der EU verkauften Maschinen stammen aus einer Fertigungsstätte im Binnenmarkt.
Die Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) ist die Stimme der Stahlindustrie in Deutschland, die sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2045 klimaneutral zu produzieren – und damit ein Drittel der gesamten industriellen Treibhausgasemissionen einzusparen. Der Verband mit Hauptsitz in Berlin macht sich für einen politischen Rahmen stark, der einen klimaneutralen und auch in Zukunft starken Stahlstandort möglich macht. Mit 35,4 Millionen Tonnen im Jahr 2023 weist Deutschland die größte Stahlproduktion Europas auf.
Kontakt
Für Fragen und Anregungen nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Jürgen Udwari
Pressesprecher Energie, Klimaschutz und Rohstoffe
- Telefon: +49 (69) 2556-1716
- E-Mail: udwari@vci.de