Transformationswettbewerb: NZIA der Europäischen Kommission

„Net Zero Industry Act“ kein Gamechanger

26. Juni 2023 | Position

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Gute Absichten, aber Anspruch nicht erfüllt, Green Deal auf neue Füße zu stellen.

EU-Industriepolitik ohne Industrie, wie ein Hamburger ohne Inhalt: Der „Net Zero Industry Act“ der Europäischen Kommission, Herzstück des „Green Deal Industrial Plan“, berücksichtigt selektiv nur einzelne Technologien und missachtet die Komplexität industrieller Wertschöpfungsketten. © ckybe/stock.adobe.com
EU-Industriepolitik ohne Industrie, wie ein Hamburger ohne Inhalt: Der „Net Zero Industry Act“ der Europäischen Kommission, Herzstück des „Green Deal Industrial Plan“, berücksichtigt selektiv nur einzelne Technologien und missachtet die Komplexität industrieller Wertschöpfungsketten. © ckybe/stock.adobe.com

Die USA sind im August 2022 endgültig in den Wettbewerb der Transformationspolitiken eingestiegen. Mit dem „Inflation Reduction Act“ (IRA), der stark auf finanzielle Anreize für grüne Technologien und Produkte setzt, fordern sie den „European Green Deal“ heraus. Die Europäische Kommission hat Mitte März den „Net Zero Industry Act“ (NZIA) als Herzstück des „Green Deal Industrial Plan“ vorgelegt. Der VCI hat die Vorschläge kommentiert. Auch wenn der NZIA einen Kurswechsel in der Zielsetzung der EU andeutet, springt er leider in mancherlei Hinsicht zu kurz: Beim Technologie-Scope, beim Werkzeugkasten, auf der Zeitschiene und beim Anspruch, den Green Deal auf neue Füße zu stellen. So das Fazit des VCI.

Am 16. März 2023 hat die Kommission den „Net Zero Industry Act“ (NZIA) vorgelegt. Mit ihm will sie den Kapazitätsaufbau ausgewählter „Net-Zero-Technologien“ (NZT) erleichtern – primär durch schnellere Genehmigungsverfahren und „regulatorische Sandkästen“ (hier ist an „Experimentierräume für Innovationen“ gedacht). Der NZIA verfolgt gute Absichten – er ist aber kein Gamechanger für die EU im Standortwettbewerb mit den USA, China und anderen Staaten. Ob Halbleiter, Pharmazeutika oder andere Produkte: Ohne Chemie gäbe es keine davon. Gerade für die Wertschöpfungsketten grüner Technologien sind Chemikalien von wesentlicher Bedeutung - ob Windkraftanlagen, Photovoltaik oder Elektroantriebe. Der NZIA setzt aber gezielt selektiv auf den Kapazitätsaufbau einzelner „Net-Zero-End-Technologien“. Mit NZIA und „Critical Raw Materials Act“ (CRMA) ähnelt die EU-Industriepolitik einem Hamburger, der nur aus zwei Brötchenhälften besteht: NZT oben, CRMA unten. Alles dazwischen – Käse, Tomate, Salat, Ketchup und Patty – also die eigentliche Industrie – bleibt außen vor. Die Folge: Der bevorzugte Zugang Einzelner zum Beispiel zu begrenzten Behördenressourcen stellt zwangsläufig alle anderen Wirtschaftsakteure schlechter.

Was könnte den NZIA verbessern?

  • Der NZIA muss parallel um einen umfassenden Industrie-Ansatz oder zumindest um einen materialbezogenen industriepolitischen Ansatz ergänzt werden.
  • Der Technologie-Scope des NZIA ist um transformative Technologien zur Dekarbonisierung der Chemie, wie zum Beispiel CCU (Carbon Capture and Utilization) oder biobasierte Rohstoffe, zu erweitern.
  • Wertschöpfungsketten müssen unkompliziert und unbürokratisch Teil des NZIA-Scopes werden. Dies kann aber nur über einen offenen Ansatz geschehen.

Schnellere Verfahren und mehr Freiräume für alle

Der enge Fokus des NZIA konterkariert auch zwei gute Ansätze:

  • Bei der Realisierung von Industrieprojekten schneller werden zu wollen ist gut. Höchstdauern von Verfahren und „one-stop-shops“ sind sinnvolle Ansätze. Dabei müssen alle Regulierungsvorhaben, auch die neue EU-Industrieemissionsrichtlinie, in den Blick genommen werden. Für eine tatsächliche Beschleunigung der Verfahren sollte auch mit Genehmigungsfiktionen und Vorab-Prüfungen gearbeitet werden. Es wäre wünschenswert, dass sich Aufsichtsbehörden stärker als Partner und Berater im Dialog mit den Unternehmen verstehen. Letztendlich muss gelten: Schnelle Verfahren sind besser – für alle.
  • Ebenso ist es positiv, dass die Kommission Experimentierräume für Innovationen schaffen will. Der Ansatz über „regulatory sandboxes“ erscheint vielversprechend. Aber auch hier gilt: Funktionierende Ansätze sollten für die Industrie insgesamt gelten: Mehr Freiräume für Innovationen als Regel, nicht als Ausnahme.

Werkzeugkasten auffüllen

Industriepolitik braucht kraftvolle Instrumente, statt magisches Denken. Ergänzungen zum NZIA wären:

  • Eine umfangreiche offensive Handelsagenda (WTO-Reform, bilaterale Abkommen, regulatorische Dialoge) muss parallel zum NZIA entwickelt werden – und eben nicht selektiv für NZT, sondern umfassend für die ganze Wirtschaft.
  • Da die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Transformation Prozesse verteuert, sind auch staatliche Förderprograme sinnvoll. Der NZIA beinhaltet keine neuen Programme. Eine erfolgreiche Transformation erfordert neben der Förderung von CapEx- (Investitionsausgaben) auch eine solche von OpEx (Betriebsausgaben).
  • Um den niedrigeren Strompreisen in den USA und in anderen Weltregionen etwas auf Augenhöhe entgegensetzen zu können, ist die Einführung eines EU-weit anschlussfähigen Industrie- oder Brückenstrompreises notwendig.
  • Der IRA ist der Spiegel, den die USA dem EU Green Deal vorhalten. Die EU – diese wie auch die kommende Kommission - sollte den Green Deal und die darin enthaltenen vielfältigen Regulierungsvorhaben einer Überprüfung und Neuausrichtung unterziehen. Es geht nicht darum, den Green Deal abzuschaffen. Es geht darum, den Ansatz mit seinem Instrumentenkasten auf Konsistenz und kumulative Wirkungen zu überprüfen und mit einem „Green Deal 2.0“ auf neue Beine zu stellen.

Die gesamte Stellungnahme des VCI finden Sie im Download-Bereich im Kopf dieser Seite.

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 Anna Lena Bergmann

Anna Lena Bergmann

Energie- und Klimapolitik

Dr. Matthias Blum

Dr. Matthias Blum

Abteilungsleitung Außenwirtschaft, Außenwirtschaftspolitik, europäische/nationale Industriepolitik