74. Deutscher Juristentag

Effektive Zivilrechts­durchsetzung

11. Oktober 2024 | Bericht

Auf dem Deutschen Juristentag wurde die Effektive Zivilrechtsdurchsetzung diskutiert.

Auf dem 74. Deutsche Juristentag in Stuttgart diskutierten rund 2.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwei Tage lang über wichtige Themen des deutschen Rechts. © Studio_East /stock.adobe.com
Auf dem 74. Deutsche Juristentag in Stuttgart diskutierten rund 2.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwei Tage lang über wichtige Themen des deutschen Rechts. © Studio_East /stock.adobe.com

Der diesjährige 74. Deutsche Juristentag in Stuttgart widmete sich in der Abteilung Zivilrecht dem Thema „Effektive Zivilrechtsdurchsetzung: Zugang zur Justiz, Prozessfinanzierung, Legal Tech – welcher rechtliche Rahmen empfiehlt sich?“ Die Abteilung zielte auf Empfehlungen, die einen sowohl für Geschädigte und Schädiger als auch für die Zivilgerichte angemessenen rechtlichen Rahmen schaffen.

Ausgangspunkt der Diskussionen und der anschließenden Beschlussfassung bildete das Gutachten von Frau Prof. Dr. Tanja Domej, Inhaberin des Lehrstuhls für Zivilverfahrensrecht, Privatrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Zürich.

Das Gutachten gliedert sich in drei Themenbereiche, nämlich dem Zugang zur Justiz, der Prozessfinanzierung sowie „Legal Tech"-Klageorganisation.

Zum ersten Themenkomplex „Zugang zur Justiz“ stellt die Gutachterin fest, dass die Anzahl der Zivilprozesse in den letzten Jahren gesunken sei. Die Gründe dafür seien vielschichtig und nicht vollständig verstanden. Ein gegenläufiger Trend werde jedoch durch Legal-Tech-Unternehmen erzeugt. Dieses Phänomen werde als “Legal-Tech-Sammelklagen” oder “Sammelklage-Inkasso” bezeichnet. Um Massenverfahren besser zu bewältigen und den Zugang zum Gericht zu erleichtern, setzte man vermehrt auf die Digitalisierung. Es gebe Ideen für Online-Verfahren, bei denen Verbraucher mithilfe von Eingabehilfen ihre Klage selbst einreichen können. Es stelle sich die Frage, ob solche Verfahren im Vergleich zu Angeboten von Legal-Tech-Rechtsdienstleistern attraktiver seien, insbesondere wenn der Verbraucher im Falle eines Prozessverlusts ein Kostenrisiko trage.

Zum zweiten Themenkomplex „Prozessfinanzierung“ stellt die Gutachterin fest, dass die kommerzielle Prozessfinanzierung in Deutschland derzeit de lege lata eine unregulierte Finanzdienstleistung darstelle. Eine Regulierung würde aber vor allem im Bereich der Finanzierung von Verbands- und Sammelklagen diskutiert. Die Regelungen in der EU-Verbandsklagen-RL und die weitergehenden Forderungen des EU-Parlaments werden dargestellt. Rufe nach einer weiteren Regulierung basierten oft auf unspezifischen Bedenken hinsichtlich missbräuchlicher Praktiken. Dennoch sollte eine Regulierung den Schutz der finanzierten Partei in den Mittelpunkt stellen. Wenn der Schutz der Gegenpartei infrage stehe, müsse geprüft werden, ob die Drittfinanzierung spezifische Risiken berge oder ob eine finanzquellenneutrale Regelung sinnvoll sei.

Eine behördliche Aufsicht über Prozessfinanzierer lasse sich nicht allein mit der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung dieser Branche rechtfertigen. Dennoch könnte eine Regulierung sinnvoll sein, da Prozessfinanzierer in einem sensiblen Markt tätig seien. Andere zentrale Akteure wie Rechtsanwälte und nicht-anwaltliche Rechtsdienstleister unterlägen ebenfalls Berufsregeln und Aufsicht. Insbesondere strukturell schwächere Parteien, die an drittfinanzierten Prozessen beteiligt seien, könnten oft ihre Rechte gegenüber dem Prozessfinanzierer nicht effektiv wahrnehmen. Eine Möglichkeit wäre, Prozessfinanzierer der Versicherungsaufsicht zu unterstellen, um ihre Solvenz zu überwachen. Neben behördlicher Aufsicht könnte auch die gerichtliche Überwachung der Einhaltung von Vorgaben für Prozessfinanzierungsverträge eine Rolle spielen.

Zum dritten Themenkomplex „Legal Tech"-Klageorganisation“ wird zunächst der insbesondere von der Rechtsprechung gesetzte Zulässigkeitsrahmen der Klageorganisation durch nichtanwaltliche Rechtsdienstleister dargestellt und das Verhältnis zwischen den beteiligten Akteuren beleuchtet. Im Ergebnis biete die derzeitige Rechtslage die Chance, Erfahrungen mit unterschiedlichen Modellen zu sammeln. Solange die Funktionen des Prozessvertreters, Klageorganisators und Prozessfinanzierers formal getrennt blieben, könne mit verhältnismäßig geringem Aufwand ein strikteres Unabhängigkeitserfordernis eingeführt werden, falls sich ein Bedarf danach herausstellen sollte.

Die zentralisierte Rechtsdienstleistungsaufsicht sollte dafür genutzt werden, planmäßig Daten über den Rechtsdienstleistungsmarkt zu erheben. Zugleich sei eine vertiefte, auch empirische, wissenschaftliche Beobachtung dieses Marktes anzustreben. Die Richtungsentscheidung, ob die angesprochenen Funktionen konsequenter getrennt werden sollten oder ob im Gegenteil das anwaltliche Berufsrecht weiter gelockert werden sollte, könne dann auf einer solideren Basis getroffen werden.

Im Weiteren werden die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen zwingende gesetzliche Vorgaben des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) sowie die Herausforderungen bei der Bewältigung von Legal-Tech-Massenverfahren durch die Justiz analysiert.

Die auf Grundlage des Gutachtens und der Diskussion gefassten Beschlüsse des 74. Juristentages zur Frage der Effektivierung der Zivilrechtsdurchsetzung zeigen sich überwiegend offen für eine weitere Stärkung von Massenverfahren und die diesbezügliche Finanzierung durch Drittorganisationen. Eine Lockerung der Regelungen des Rechtsdienstleistungsgesetzes zugunsten von Klageorganisationen, Legal-Techs und Drittfinanzieren, einschließlich einer Aufhebung des Fremdbesitzverbots (§ 59c BRAO), wurden zwar abgelehnt. Allerdings sollen Drittfinanzierer weder einer behördlichen Aufsicht unterliegen, noch soll es eine Preiskontrolle bei der Prozessfinanzierung oder deren Offenlegung gegenüber dem Beklagten geben. Auch sollen Mängel der Prozessfinanzierungsvereinbarung bzw. der Abtretungsvereinbarung bei Massenklagen im Wege des Abtretungsmodells nicht auf die Zulässigkeit einer Massenklage durchschlagen.

Im Zusammenhang mit Verbandsklagen nach dem VDuG konnten sich darüber hinaus Anträge, die auf eine restriktive Handhabung der Möglichkeit der Schätzung der Schadenshöhe und der Anordnung der Offenlegung von Beweismitteln durch den Beklagten gerichtet waren, nicht durchsetzen.

Weitere Beschlüsse betrafen die bessere Strukturierung des Parteivortrages und des Zivilprozesses insgesamt sowie die bessere Ausstattung und Finanzierung der Zivilgerichte. Zudem spricht sich der 74. Deutsche Juristentag für spezifische Verfahrenslösungen für wirtschaftlich bedeutende Zivilverfahren aus.

Der VCI hat im Rahmen seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf für ein Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) auch zur Frage der Regulierung der Drittfinanzierung von Prozessen Stellung bezogen. Die VCI-Stellungnahme finden Sie hier.

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RA Marcel Kouskoutis

RA Marcel Kouskoutis

Gewerbliche Schutzrechte, Kartellrecht, Rechtsfragen Digitalisierung, Zivil- und Vertragsrecht