Der Ölpreis und seine Auswirkungen auf die Chemie

Die Bedeutung von Rohöl und Naphtha für die chemische Industrie

24. Februar 2015 | Bericht

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Auf dem traditionellen VCI-Presseabend im Vorfeld der Veröffentlichung des Quartalsberichts 4/2014 informierte VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann auch über die wirtschaftliche Bedeutung von Rohöl bzw. Naphtha als Rohstoff für die Branche. Er erläuterte die Auswirkungen der Ölpreisentwicklung auf die deutsche chemische Industrie und ihr internationales Umfeld.

VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann zur Bedeutung von Naphtha für die chemische Industrie in Deutschland im Vergleich zu den USA © © VCI/Mendel
VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann zur Bedeutung von Naphtha für die chemische Industrie in Deutschland im Vergleich zu den USA © © VCI/Mendel

Nach Ansicht von VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann hilft das "Sonderkonjunkturpaket" aus niedrigem Ölpreis und schwachem Euro zwar der deutschen Chemie, besser ins laufende Jahr zu starten. Es sei aber ein Impuls, dessen Wirkung mit Sicherheit zeitlich begrenzt sei und von dem vor allem die Verbraucher profitieren. Wir zitieren nachfolgend aus den Ausführungen:

Prognose für die Ölpreisentwicklung

"Wer vor einem Jahr darauf gewettet hätte, dass der Ölpreis für die Sorte Brent im Januar 2015 bei rund 50 US-Dollar je Barrel liegen würde, hätte sowohl bei Buchmachern als auch an den Finanzmärkten eine „super Quote“ erhalten. Damals kostete ein Fass Rohöl noch 110 Dollar. Die Prognosen der Experten sagten einen stabilen bis leicht steigenden Ölpreis voraus. Doch es kam anders: Seit Mitte des Jahres 2014 sinkt der Rohölpreis rasant. Gegenüber dem Vorjahr beträgt der Preisverfall derzeit rund 50 Prozent.

Hauptgrund für den massiven Preisrückgang ist ein erhebliches Überangebot auf den internationalen Ölmärkten. Einerseits haben sich die Weltwirtschaft und damit Nachfrage für Öl schwächer entwickelt als erwartet. Andererseits ist das Angebot auf den internationalen Märkten in den zurückliegenden Monaten stark gestiegen. Die USA produzieren so viel Erdöl wie lange nicht mehr. Durch Fracking sind die Vereinigten Staaten zu einem ernstzunehmenden Wettbewerber für den Nahen Osten und andere Förderländer aufgestiegen.

Das OPEC-Kartell, allen voran Saudi-Arabien, verzichtet bisher darauf, durch eine Drosselung der Ölproduktion die Preise zu stabilisieren. Im Gegenteil: Die OPEC hat im Dezember ihre Fördermengen nochmals erhöht. Ihr Ziel scheint es zu sein, mit billigem Öl den Konkurrenten USA aus dem Markt zu drängen. Diese Strategie wirkt. In den USA nimmt die Anzahl der Bohrtürme der Fracking-Firmen ab. Viele Investitionsprojekte lohnen sich bei einem Ölpreis unter 60 Dollar pro Fass nicht. Erste Unternehmen beginnen sich aus dem Geschäft zurückzuziehen.

Wohin tendiert der Ölpreis nun in den nächsten Jahren? Welche Entwicklung erscheint kurzfristig und über einen längeren Zeitraum plausibel? Expertise, diese Frage zu beantworten, hat die Internationale Energieagentur IEA in Paris. Auf der Basis von IEA-Prognosen kommen wir zu folgender Einschätzung:

Kurzfristig sollte das Niveau niedrig bleiben. Am Ölweltmarkt ist zunächst eine Bodenbildung der Rohölpreise im Bereich von 50 bis 70 Dollar je Barrel zu erwarten.

Mittelfristig dürften die Ölpreise aber wieder steigen, sobald das Überangebot abgebaut ist. Es ist davon auszugehen, dass die USA und Saudi Arabien in absehbarer Zeit die Produktion drosseln. Gerade die USA dürften ein strategisches Interesse am Schutz der heimischen Ölindustrie haben. Gleichzeitig werden die niedrigen Kraftstoffpreise und die Belebung der Weltwirtschaft die Nachfrage beflügeln. Sobald die Finanzmärkte beginnen, wieder auf steigende Ölpreise zu spekulieren und renditestarke Kontrakte als Anlage nachgefragt werden, könnte sich der Preisauftrieb rasch beschleunigen.

Langfristig ist ein gedämpfter Ölpreisanstieg eher wahrscheinlich als ein steil aufwärts gerichteter. Die globalen Ölreserven sind deutlich größer als noch vor Jahren angenommen. Außerdem ermöglichen neue Technologien ihre wirtschaftliche Erschließung. Ebenso sprechen der Ersatz von Öl durch Gas und erneuerbare Energien sowie eine allgemeine Steigerung der Energieeffizienz eher für eine gemäßigte Preisentwicklung.

Auswirkungen des Ölpreises auf die deutsche Chemie

Billiges Öl ist fraglos ein Konjunkturmotor für die deutsche Wirtschaft. Die Kaufkraft der Verbraucher steigt. Heizöl, Gas, Diesel und Benzin sind so günstig wie schon lange nicht mehr. Der Konsum dürfte daher in den kommenden Monaten ebenso steigen wie die Güternachfrage und die Industrieproduktion. Auch der Absatz von Autos könnte von den niedrigen Energiepreisen profitieren. In Verbindung mit dem niedrigen Eurokurs, der die preisliche Wettbewerbs-fähigkeit europäischer Produzenten erhöht, sowie einer expansiven Geldpolitik, die die Kreditvergabe zu niedrigen Zinsen sicherstellen soll, wird das billige Öl zu einem Konjunkturpaket für Deutschland und Europa.

Als Energieträger spielt Öl in der Chemie im Gegensatz zur allgemeinen Nutzung in Deutschland kaum eine Rolle. Nur 8 Prozent ihres Energieeinsatzes wird durch Öl gedeckt. Die finanzielle Entlastung fällt auf dieser Seite daher kaum ins Gewicht. Sinkende Ölpreise führen in der Chemie aber zu einer Verringerung der Rohstoffkosten. Um organische Grundstoffe, Zwischenprodukte oder Kunststoffe herzustellen, benötigt die Branche jedes Jahr über 16 Millionen Tonnen Rohbenzin (Naphtha). Das entspricht einem Siebtel des Gesamtverbrauches von Erdöl in Deutschland. Im Jahr 2013 gab die Branche hierfür knapp 11 Milliarden Euro aus. Würde der Preis in diesem Jahr dauerhaft unterhalb 60 US-Dollar je Barrel verharren, könnte die Ölrechnung – ohne Berücksichtigung von Wechselkursschwankungen – um 4 Milliarden Euro gegenüber 2014 sinken.

Die eingesparten Milliardenbeträge erhöhen jedoch weder die Wertschöpfung noch die Gewinne der Unternehmen. Denn der intensive Wettbewerb zwingt sie, die Kostenersparnis an die Kunden weiterzureichen. Die Preise für Primärchemikalien befinden sich daher seit Monaten im Sinkflug: Ethylen, Propylen oder Benzol kosten derzeit rund 35 Prozent weniger als im Juli 2014. Das wiederum erfreut andere Chemieunternehmen, die aus solchen chemischen Basisprodukten Kunststoffe oder Fein- und Spezialchemikalien herstellen. So kommen auch die nachgelagerten Wertschöpfungsketten in den Genuss sinkender Rohstoffkosten.

Wir gehen davon aus, dass die niedrigeren Rohstoffkosten rasch und vollständig an die jeweiligen Kunden weitergegeben werden. Die „Einsparung“ von 4 Milliarden Euro bei der Ölrechnung würde in diesem Fall den Umsatz von gut 190 Milliarden Euro auf 186 Mrd. Euro absenken. Dies entspricht bei konstanten Produktionsmengen einem Preisrückgang von 2,1 Prozent. Auf dieser Rechnung beruht auch unsere Preisprognose: Wir gehen davon aus, dass die Erzeuger-preise 2015 nochmals um 2 Prozent sinken werden.

Nicht überall auf der Welt hat der niedrige Ölpreis die gleichen Auswirkungen auf die chemische Industrie. Der Effekt hängt stark von der jeweiligen Rohstoffbasis ab. Während die Cracker in den Vereinigten Staaten überwiegend Erdgas verwenden, basiert die europäische Chemie vor allem auf dem Rohölderivat Naphtha. Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit ist daher das Verhältnis von Öl- zu Gaspreis.

Wirft man einen Blick in die Vergangenheit, zeigt sich, dass im Zeitraum von 2000 bis 2008 die Ölpreise und die US-Gaspreise in etwa gleich stark stiegen. Das Verhältnis von Öl- zu Gaspreis veränderte sich daher kaum. Die Welt war aus Sicht der europäischen Chemie in Ordnung.

In den Jahren 2009 bis 2012 wendete sich hingegen das Blatt. Die USA begannen im großen Stil Schiefergas zu fördern. Die Preisschere öffnete sich deutlich. Während Öl sich leicht verteuerte, sank der Gaspreis in den USA auf ein Drittel. Die US-amerikanische Chemieindustrie war wegen des dort günstigen Erdgases viel wettbewerbsfähiger als die europäische Konkurrenz.

Ab 2013 nahm der Wettbewerbsvorsprung der US-Chemie wieder ab. Sinkende Ölpreise und leicht steigende Gaspreise in den USA verbesserten die Wettbewerbsposition Europas. Anfang 2015 ist die Relation von Öl- zu Gaspreis wieder mit der Phase vor dem Fracking-Boom vergleichbar. Bezüglich dieses Standortfaktors befinden sich beide Seiten des Atlantiks zumindest vorübergehend auf Augenhöhe. Zu einer Investitionswelle wird dieser Kurzzeiteffekt in der EU aber sicher nicht führen."

Fazit: Das Sonderkonjunkturpaket aus niedrigem Ölpreis und schwachem Euro hilft der deutschen Chemie, besser ins laufende Jahr zu starten. Es ist aber ein Impuls, dessen Wirkung mit Sicherheit zeitlich begrenzt ist und von dem vor allem die Verbraucher profitieren.

Es wäre ein Fehler, wenn wir deswegen auf eine Innovations- und Investitionsoffensive verzichten würden, die den Standort zukunftsfähig macht. Wenn das Industrieland Deutschland dauerhaft wettbewerbsfähiger werden soll, brauchen wir Strukturreformen in der Energiepolitik, eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur und mehr Rückenwind für Innovationen der Unternehmen."


Die vollständigen Ausführungen von Utz Tillmann, alle begleitenden Grafiken und ein Fotoset vom Abend finden Sie im Downloadbereich im Kopf diese Seite.